Kupfertreiben

Von jedem Schüler werden in der 8. Klasse folgende Werkstücke hergestellt: eine Schale, ein Kerzenständer und eine Dose mit Deckel. Darüber hinaus werden je nach Schnelligkeit und Fähigkeit noch Vasen, Namensschilder, Haarspangen, Ringe, Armreifen und anderes gearbeitet. Dabei liegt der Schwerpunkt der pädagogischen Arbeit auf dem Arbeitsprozess, was aber das Endergebnis selbstverständlich mit einschließt.

Kupfertreiben ist für die Schüler der Einstieg in die Metallverarbeitung und ein geeignetes Übungsfeld, um Form- und Willenskräfte zu trainieren. Außerdem werden physikalische, chemische, mathematische und ästhetische Gesetze – hier konkret im Handwerk – erlebt und so noch tiefer im Jugendlichen verankert. Das ist auch ein Grund, warum die Metallverarbeitung erst im 8. Schuljahr beginnt, denn wir bauen auf folgendem, zum Beispiel in der 7. Klasse erarbeiteten Wissen auf:

Im Chemieunterricht ist die Anorganische Chemie Lehrinhalt. Es wurde der Verbrennungsvorgang behandelt, der vom Kalkbrennen über die Säuren und Basen zu den Metallen führt, wobei der technisch-kulturgeschichtliche Aspekt immer eine Rolle spielt und so mannigfaltige Anknüpfungspunkte für das Kupfertreiben bestehen.

Im Physikunterricht ist u.a. die Mechanik Lehrinhalt. Es wurde durch selbstständiges Üben mit Versuchen zur Mechanik wissenschaftliche Systematik kennengelernt, aber auch die Vorstellung praktikabler Weltgestaltung vorbereitet. So wird der Schüler beim Kupfertreiben auf direkte und einfache Art aufs Neue mit den Naturgesetzen konfrontiert (z.B. das Hebelgesetz, die Impulserhaltung) und erlebt zu seiner Befriedigung, dass er real in der Welt tätig werden kann.

Im Zeichenunterricht und in der Kulturgeschichte wurden die Schüler mit künstlerischen Gesetzmäßigkeiten wie dem Fluchtpunkt, der Perspektive oder dem Goldenen Schnitt vertraut gemacht, die zum Beispiel in der Gestaltung eines Dosendeckels wieder aufgenommen werden können.

Im Geschichtsunterricht wurde unter anderem die Entdeckung neuer Kontinente, aber auch die Erforschung von Naturgesetzen behandelt. Der Beginn des naturwissenschaftlichen Denkens in der Renaissance genauso wie die Entdeckung des individuellen seelischen Lebens in der Auseinandersetzung mit einem bis dahin gültigen Welt- und Glaubensbild stehen in eindeutiger Beziehung zu der entwicklungspsychologischen Situation des Jugendlichen. Diese Forscher- und Entdeckerqualität in sich selbst auszubilden und auf seine eigene individuelle Art zu verwirklichen, ist der Schüler in allen Handwerken und Künsten aufgerufen. Wie zum Beispiel ein Hammerschlag zu setzen oder das Werkstück zu halten ist, ist nicht verbal zu erlernen, sondern nur im eigenen Forschen und Ausprobieren zu entdecken.

Andererseits werden auch Lehrinhalte der 8. Klasse begleitet. So wird zum Beispiel als Abschluss der Epoche Organische Chemie das Stahlhärten besprochen, welches im Kupfertreiben durch einen Ausflug ins Werkzeugmachen exemplarisch durchgeführt wird.

Handwerkliche Grundlagen, auf die im Kupfertreiben aufgebaut wird, wurden auch im Schnitzen der Klassen 5, 6 und 7 erlernt.
Technisch gesehen ist das Schnitzen eine spanabhebende und das Kupfertreiben eine umformende Arbeitstechnik. Beim Schnitzen geht man also von einem "heilen Körper" aus und entdeckt, was für Formen in ihm schlummern. Im Kupfertreiben ist das Ausgangsmaterial kein Körper, sondern eine Fläche! Diese muss in einen Körper umgewandelt werden. Dieser Vorgang erfordert ein hohes Abstraktionsvermögen und konfrontiert die Schüler wiederholt mit sogenannten Schwellenüberwindungs-Ängsten. Diese im Üben immer wieder erfolgreich zu überwinden, ist ein sehr wichtiger Lerninhalt in diesem Alter.

Kupfertreiben ist also eine umformende Arbeitstechnik. Umformung als gestaltbar zu erleben, ist in der Pubertät ein Stück echte Lebenshilfe. In dieser Zeit großer innerer Verunsicherung helfen auch klare, wohldosierte Aufgabenstellungen, sodass im Ausführen des Vorgegebenen, gewissermaßen im Schutz der festgelegten Aufgabe, das Individuelle "heimlich" ausprobiert werden kann. So ist es jedem Schüler selbst überlassen, was für Erfahrungen, Gefühle oder Träume er in seine Dose "hineingeheimnist" und schlussendlich mit einem Deckel sicher und sauber verschließt.

Marc Wilpert
2016

 

 

 

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