Ökologie

Experiment: Stellen Sie eine Topfpflanze an eine stark befahrene Kreuzung, und beobachten Sie, wie sie sich mit der Zeit verändert!

Beobachtung: Die Pflanze geht ein.

Ergebnis: Autoabgase führen zum Absterben der Pflanzen.

Logische Konsequenz: Sie schaffen Ihr Auto ab.

Sie sträuben sich gegen diesen letzten Schritt? Sie führen alle möglichen Fakten an, die es unvermeidbar erscheinen lassen, daß Sie ein eigenes Auto benötigen? Sie wissen genau, dass ein Leben ohne Pflanzen auf der Erde nicht möglich ist, dass es den kollektiven Erstickungstod bedeutet. Das haben Sie in aller wissenschaftlichen Genauigkeit in der Schule gelernt! Und warum handeln Sie nicht entsprechend?

Ich verbinde mich emotional kaum mit einer sterbenden Pflanze in der Straßenwüste. Positive emotionale Bindungen entstehen durch Erfahrungen in "gesunder" Landschaft. Das müssen nicht die Rocky Mountains sein, es ist auch der Schulgarten (biologisch-dynamische Wirtschaftsweise!), der ehemalige Mauerstreifen (Erstbesiedlung!), der Rosenthaler Graben (perennierendes Kleingewässer!), das Tegeler Fließ (Berlins bedeutendste Amphibienwanderstrecke!) usw.

Die Aufgabe der Pädagogik ist es, nicht nur kognitives Wissen zu vermitteln, sondern auch Handlungskompetenz. Eine Verantwortungsethik kann sich nur durch das Wachsen einer emotionalen Bindung zum Gegenstand entwickeln (Suchantke, 1995). Wie setzt man diese Forderung praktisch um?

Der Lehrplan der Waldorfschulen läßt den einzelnen LehrerInnen nicht nur die Freiheit, die in der Regel sehr allgemein umschriebenen Themenkreise selbständig zu gestalten, sondern fordert dazu dezidiert auf. In der Waldorfschule Märkisches Viertel Berlin wird (neben den üblichen land- und forstwirtschaftlichen Praktika) Projektunterricht in der 11. und 12. Klasse durchgeführt. Jedes Jahr führen wir ein kombiniertes Astronomie-Ökologie-Praktikum auf der Insel Neuwerk (vor Cuxhaven) durch.

 

Dazu zwei Schülerinnenzitate:

"Im April 1997 begegnete ich ihm in diesem Jahr zum ersten Mal: dem Watt. Es kam mir grau und düster vor. Doch bald stellte sich heraus, dass es sein Gesicht mit der Leichtigkeit eines Schauspielers ändern konnte. Wenn das Watt mit Wasser bedeckt und von der Sonne beschienen war, strahlte und glitzerte es. Zur Ebbe-Zeit hieß es für uns jedoch: hinein ins Watt! Gummistiefeltief darin einsinkend mußten wir Sedimentproben nehmen, Würmer zählen... Mit dem Watt und seinen Bewohnern im wahrsten Sinne des Wortes "in Berührung" zu kommen, war eine neue Erfahrung, die einem dieses Stück Natur bewußter werden ließ. Durch das Graben im Watt eröffnete sich mir ein neues Feld von kleinen Tieren, über die ich mir bei der ersten Wattdurchquerung überhaupt nicht im Klaren gewesen bin." (Verena)

"Bis man von den ca. 45 theoretisch hier vorkommenden Vogelarten die ersten paar erkennen kann, dauert es vielleicht nur ein bis zwei Tage. Sich aber mit ihren Eigenschaften, Vorlieben, Gewohnheiten usw. auszukennen, ist eine extrem langwierige Arbeit! Es gab viele sehr schöne Augenblicke und Überraschungen. Ich habe mich das erste Mal richtig für Vögel interessiert. Vorher waren Vögel für mich hauptsächlich knochige, gefiederte, fliegende Lebewesen. Hier habe ich bemerkt, wie intelligent, empfindsam und auch schön die verschiedenen Arten sein können." (Else)

Man kann deutlich eine positive emotionale Bindung aus den Zitaten ablesen. Wird das Einfluß auf die Handlungsebene der SchülerInnen haben? Bestimmt! Als es um die Planung der Klassenfahrt in der 12. Klasse ging (die von den SchülerInnen selbst organisiert wird), war ein entscheidender Faktor die Wahl des Transportmittels. Es sollte ein Reiseziel sein, welches mit der Bahn erreicht werden konnte. Gewünscht war außerdem eine intensive Naturerfahrung. Das Ergebnis war eine Paddeltour in Schweden mit ökologischen Gewässeruntersuchungen. Die drei Ebenen (kognitiv, emotional, motorisch) verbinden sich in idealer Weise - geplant von den SchülerInnen, nicht von den LehrerInnen!

Iris Didwiszus (Waldorfschule Märkisches Viertel Berlin)

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